Interventionen im dystopischen Raum.

Präambel

Die Erodierung der Stadtkerne ist ein weit verbreitetes Phänomen. In Paderborn sind der Königsplatz und der unterirdische ZOB durch Leerstände gekennzeichnet, Angsträume tun sich auf. Dem begegnet die Stadt mit Umbaumaßnahmen: zeitgemäßere Fassaden, neues Pflaster und Beleuchtung sollen den Ort aufwerten. Demgegenüber stehen die Ruinen einer überholten Vision vergangener Jahrzehnte. Wie können Künstler_innen dieser Situation begegnen? Wie soll man überhaupt darauf reagieren?
Der Leerstand ist ein Möglichkeitsraum. Die Ruine eine Chance für künstlerische Intervention, eine Stelle, die Fragen aufwirft, uns auffordert zu reagieren. Perspektive: Abriss. ist gedacht als Kollaboration unterschiedlicher Akteure, welche gemeinsam einen Ort durch dekadente Handlungen überführen - die kurz bevorstehende Zerstörung immer mitgedacht.

Orte, die verängstigen. // Orte, der Geborgenheit und Freude.

Installation-Shot der Arbeit von Lisa Kuntze-Fechner in der Städtischen Galerie am Abdinghof.

„Ohne Titel“ (Architekturelemente Königsplatz), Beton, Abguss, Königsplatz, März 2014

„Der Königsplatz als Unort mitten im Zentrum Paderborns gilt als Bausünde und verfällt zunehmend. Leerstand und dunkle Ecken dominieren das Bild. Um die Architektur noch einmal wertzuschätzen und Elemente sichtbar zu machen, welche kaum beachtet werden habe ich die Deckenelement vergrößert und den Betrachtern vor die Füße gelegt, um ihnen eine neue Bühne zu bieten. Die Funktion wird von der Form abgelöst. Die Deckenelemente werden zu einer Bodenskulptur transformiert und bilden eine neue Dynamik im Raum. Vor Ort sollten die leerstehenden Räume als Ausstellungräume dienen und mit den Betonelementen bespielt werden, während die eigentliche Decke auf den Boden gespiegelt werden soll um die dunklen Ecken heller werden zu lassen und nur noch die Formen der Decke in den Fokus zu setzten. Der Ort soll interessant werden und die Menschen anziehen, statt sie zu verängstigen und ihn zu meiden.“ 
So habe ich im März meine Arbeit beschrieben. Vor Ort habe ich mich unwohl gefühlt und der Leerstand samt seiner „Bewohner“ war befremdlich und angsteinflößend.


„I have a dream… and it’s pink and cheap“, HOT, Farbe, Luftballons, Geschenkpapier, Geschenkband, Juli 2014

Vier Monate später. Gedanklich sind die beiden Arbeiten unzertrennlich. Und auch räumlich liegen sie so nah beieinander, dass ich von der einen Arbeit die andere Arbeit bzw. den Ursprung der anderen Arbeit sehen kann. Die Formen der Arbeiten unterscheiden sich gänzlich. Der Raum mit Farbe ist wild und dynamisch, ein expressiver Ausdruck von Gefühlen und Sehnsüchten. Die Betonelemente sind fast farblos, ein Element gleicht der Form des Anderen und sie sind perfekt ausgerichtet. Ein Gefühl kommt nicht durch, die Ästhetik war der Mittelpunkt des Arbeitens. Die Architektur spielt eine konträre Rolle. Die Wertschätzung wird durch das Bespritzen der Wände mit Farbe nicht aufgenommen, sie geschieht auf der Ebene der Möglichkeiten, welche der Leerstand bietet. Die Situation etwas einfach machen zu können wird wertgeschätzt. Absurd, da die tragische Situation des Leerstands so zu einer persönlichen Chance wird und den Teilnehmern von „Perspektive: Abriss“ künstlerischen Spielraum bereitet, welcher äußerst positive Empfindungen hervorrufen kann. Der oben beschriebene Unort bekommt eine neue Färbung. Rosarot wie die Farbe an den Wänden und das Licht im Lachszimmer. Zuvor flüchtige Gestalten werden mit fast familiärem Blick auf ihren üblichen Wegen wahrgenommen. Ein kleines Zuhause ist im Abrisshaus am Unort entstanden. Die Teilnehmer freuen sich jeden Tag aufs Neue sich dort wiederzusehen. Und zwischen den beiden Arbeiten liegt auf einmal ein wehmütiges Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass das bald nicht mehr sein wird. Dennoch ein positives Fazit: Schön zu wissen, dass jeder Ort ein Ort von Geborgenheit, Freude und kollektivem Ausdruck werden kann und dass das Wort „Unort“ für mich und vielleicht uns emotional nicht länger negativ behaftet bleibt.

Perspektive: Abriss. Lisa Kuntze-Fechner: "Mein Gang"  on Vimeo.

Der Kurzfilm zeigt meinen privaten Gang durch die Gedankenwelt der beiden Arbeiten. Zu sehen sind die räumlichen Zusammenhänge. Hören konnte ich an beiden Orten immer das Gleiche. Eine emotionale Trennung ist nicht mehr möglich.

2 Kommentare:

  1. Der klar strukturierte Raum mit den Beton-Elementen gefällt mit besser als der rosa Splatter-Raum. Er wirkt verstörend auf mich und es fällt mir schwer nachzuvollziehen wie dort ein "Zuhause-Gefühl" aufkommen kann. Bin sehr auf den Kurzfilm gespannt - M

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  2. Liebe_r M,

    ich vermute Lisa Kuntze-Fechner meinte mit ihren positive Zuschreibenden weniger den "Splitter-Raum" als den Königsplatz und die Atmosphäre im HOT während dieses Projektes im Allgemeinen. Es ist wirklich erstaunlich, wie positiv der Eindruck bei uns Teilnehmer_innen ist! Wobei - wenn man in dem linken Raum steht, ist er lange nicht so unheimlich wie auf diesen Bilder. Man spürt in der Tat eine gewisse Freude, ein überbordendes Gefühl. Vielleicht schaffen Sie es ja am Freitag zu unserer Finissage, dann könne Sie sich vor Ort selbst einen Eindruck verschaffen! - T(im Pickartz)

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