Interventionen im dystopischen Raum.

Präambel

Die Erodierung der Stadtkerne ist ein weit verbreitetes Phänomen. In Paderborn sind der Königsplatz und der unterirdische ZOB durch Leerstände gekennzeichnet, Angsträume tun sich auf. Dem begegnet die Stadt mit Umbaumaßnahmen: zeitgemäßere Fassaden, neues Pflaster und Beleuchtung sollen den Ort aufwerten. Demgegenüber stehen die Ruinen einer überholten Vision vergangener Jahrzehnte. Wie können Künstler_innen dieser Situation begegnen? Wie soll man überhaupt darauf reagieren?
Der Leerstand ist ein Möglichkeitsraum. Die Ruine eine Chance für künstlerische Intervention, eine Stelle, die Fragen aufwirft, uns auffordert zu reagieren. Perspektive: Abriss. ist gedacht als Kollaboration unterschiedlicher Akteure, welche gemeinsam einen Ort durch dekadente Handlungen überführen - die kurz bevorstehende Zerstörung immer mitgedacht.

Badezimmergeschichten



Eine Tessellation ist eine Aneinanderreihung von Polygonen, die eine Oberfläche ohne Lücken oder Überlappungen überziehen - im Deutschen spricht man auch von Parkettierung. Möchte man identische gleichseitige Polygone auf einer euklidischen Ebene verteilen, so gelingt eine Tessellation mit Dreiecken, Sechsecken und Vierecken - auch in Variationen wie Rauten und Trapezen. Lässt man unterschiedliche Polygone zu und/oder verzichtet auf deren Regelmäßigkeit, entstehen wildere Oberflächen, die chaotisch oder auch natürlich gewachsen wirken.
Die im Alltag am häufigsten anzutreffende Tessellation ist sicherlich eine aus Quadraten: Küchen und Badezimmer sind häufig mit quadratischen Fliesen ausgelegt - Polygone auf einer Oberfläche.
In einer der Wohnungen im Haus der Marienstraße 24 stößt man allerdings auf eine pragmatischere Lösung. Das Badezimmer ist mit einem PVC-Boden ausgelegt, der eine Tesselation aus verschiedenen unregelmäßigen Polygonen abbildet. Dieses scheinbar chaotische Muster wiederholt sich allerdings etwa alle fünfzig Zentimeter.
Bei dem Versuch einige dieser Polygone auszulösen, um damit zu arbeiten, fiel der Blick auf die darunter liegende Ebene. Verschüttete Geschichte in Form von grau-mellierten, quadratischen Fliesen. Hier überlagern sich nicht nur zwei Musterungen, sondern auch verschiedene Generationen von Bewohnern mit augenscheinlich unterschiedlichen Geschmäckern. Aus Fragen nach der Form werden fragen nach der Person. Wer hat hier gelebt, gebadet, sich für ein wildes Muster auf PVC entschieden?
Das Badezimmer ist schon weitestgehend leergeräumt, es finden sich kaum Spuren der früheren Bewohner. Eine Abdeckplatte ist mit einer Bärchen-Tapete beklebt. Stammt diese aus der selben Generation wie der Boden? Schließlich fällt der Blick auf etwas, was höchstwahrscheinlich von den letzten Bewohnern stammt: in dem in die Fliesen eingelassenen Seifenhalter liegen Seifenreste.
Dieses ephemere Material überdauert nicht mehrere Generationen. Selbst wenn man sich nicht damit wäscht, kann es sich in feuchten Räumen langsam auflösen. Mit dieser Seife wurde sich offensichtlich gewaschen, oder vorsichtiger, sie wurde benutzt. Aber die Art und Weise, wie sich diese Seifenreste darstellen, wirft Fragen auf, die man einer Seife normalerweise nicht stellen würde.
Wenn man hier eine Archäologie der Seife betreibt, was würde man herausfinden?



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